Kultur, Politik und die “Alternative für Deutschland”
29. Mai 2018

Zur diesjährigen Tolerade haben wir ein Flugblatt geschrieben, das wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten. Beschäftigt haben wir uns mit der AfD und ihrer bisherigen Kulturpolitik.

Das PDF hier als Download afd-kulturpolitik

 

KULTUR, POLITIK UND DIE „Alternative für Deutschland“

Hallo liebe Besucher_innen der Tolerade 2018, ihr haltet ein Flugblatt des Alternativen Zentrum Conni in euren Händen. Das AZ Conni ist ein seit vielen Jahren auf der Rudolf Leonhard Straße 39 ansässiges Projekt. Wir bieten einen Raum für selbstorganisierte und gemeinnützige Veranstaltungen wie Vorträge, gemeinsame Abendessen, Parties und Konzerte – schaut gerne mal bei uns rein. Viel Spaß beim Lesen und auf der Tolerade!

Zentraler Bezugspunkt rechter Politik ist heute die Kultur. Schon die Rechte des 20. Jahrhunderts versuchte den Kulturbegriff als gemeinschaft-stiftendes Moment zu besetzen – allerdings dominierte bis zum Ende des zweiten Weltkriegs der Rassebegriff um Gemeinsamkeiten der “Deutschen” zu finden, wo keine sind und waren.(1) Heute ist die Kategorie “Rasse” verpönt und auch wissenschaftlich vollständig wiederlegt. Sowohl die Alternative für Deutschland (AfD), als auch die Identitären und Neonazis bemühen sich darum, die deutsche Kultur als zentralen Bezugspunkt zu setzen. Im Folgenden wollen wir aufzeigen, welche kulturpolitischen Ideen und Strategien die AfD entwickelt hat und welche konkreten Schritte sie bisher – vor allem im Landtag – gegangen ist und zuletzt welche Gefahren daraus für eine freie Gesellschaft entstehen.

Die Förderung von Kunst und Kultur ist der AfD ein Dorn im Auge

Im Wahlprogramm der AfD zur Bundestagswahl 2017 heißt es: “Die AfD bekennt sich zur deutschen Leitkultur. Diese fußt auf den Werten des Christentums, der Antike, des Humanismus und der Aufklärung.”(2) Interessant ist hier der Bezug der Partei auf die Werte der Antike, einerseits da die Parallelen zwischen damals und heute mehr als dürftig ausfallen, andererseits da dieser Bezug ein bei der neuen wie auch nationalsozialistischen Rechten häufiges Motiv ist. Die “deutsche Leitkultur” sieht die AfD in Gefahr, zum einen, da sie im Kulturkampf mit dem Islam den Kürzeren zu ziehen drohe; zum anderen ist die Förderung von Kunst und Kultur durch Europäische Union und den Bund der AfD ein Dorn im Auge, da beide vom Multikulturalismus geleitete Anreize für “politisch korrekte” Kultur gäben – die Förderung soll Länder sache werden. Es folgen dann noch ein paar Allgemeinplätze zur deutschen Sprache, der Abschaffung des Rundfunkbeitrags und der Freiheit des Internets, bevor es weiter geht zu Steuern und Finanzen – Moment, eines darf nicht fehlen: “Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist […] aufzubrechen […].” Auf gerade mal zwei Seiten hat die Bundes-AfD so ihre Positionen zur Kulturpolitik umrissen. Es ist nicht viel, was die Partei ihrem Publikum an Inhalten anbietet, allerdings lässt sich eines sehr deutlich ablesen: Kultur und Kunst sind in ihrer Lesart kein Feld von Experimentierfreudigkeit oder des Ausprobierens und Auslebens von Individuen, auch nicht von Diskursen. Es geht nicht darum, sich mittels Kunst der Wirklichkeit anzunähern oder sich auch von ihr zu entfernen, unterschiedliche Deutungen zu Papier oder auf die Bühne zu bringen und so eine Vielfalt zu schaffen, die sich gegenseitig befruchtet – die alles schafft, aber eben nicht eine in Stein gemeißelte Gewissheit der eigenen Identität konstruiert.

Konkret hat die AfD seit der Wahl nicht viel zu Stande gebracht. In ihrer parlamentarischen Arbeit setzt die Partei vor allem auf kleine und große Anfragen, um Themen zu setzen. Einer Analyse der Heinrich Böll Stiftung Sachsen zufolge bringt es die hiesige Fraktion auf gerade einmal drei kleine und eine große Anfrage sowie einen Antrag mit kulturpolitischer Bezug: Bei diesen ging es um die Förderung nichtstaatlicher Kultureinrichtungen und um die Verankerung der deutschen Sprache als Kulturgut in der Landesverfassung. Auch in anderen Bundesländern haben der Stiftung zufolge die AfD-Fraktionen kaum mehr Engagement in der Kulturpolitik entfaltet.(3) Um eine konkretere Vorstellung davon zu bekommen, welche Auswirkungen eine nationalistische und erzkonservative Regierung auf den Kulturbetrieb haben könnte, haben wir einenBlick ins benachbarte Österreich geworfen. Im Bund regieren dort seit diesem Jahr die ÖVP und die FPÖ in einer Koalition und auch in verschiedenen Bundesländern, wie z.B. in Oberösterreich, durfte sich die FPÖ bereits an der Regierung probieren.

Mit AfD gäbe es Lutherdenkmäler statt kontroverser Kunst

In Oberösterreich hat die FPÖ ein radikales Sparprogramm hinsichtlich der zeitgenössischen Kunst durchgesetzt, die erwartungsgemäß vor allem freie Träger von Kultur hart getroffen hat. 67% der Fördermittel für zeitgenössische Kunst wurden seit dem Jahr 2001 gestrichen(4). Diese Linie will die neue Bundesregierung nun fortsetzen. Zentrales Element ihrer Kulturpolitik soll die Abkehr von der Förderung kleiner und vielfältiger Projekte – genannt Gießkannenprinzip – hin zur Förderung sogenannter “Leuchttürme” sein. Leuchttürme, das sollen die großen Theater, Denkmäler, die großen Ausstellungen und die kolossalen Gebäude sein. Diese kulturellen “Leuchttürme” finden sich heute vor allem in den großen Städten, selten, bspw. in Form von Denkmälern, auch mal auf dem Land – eine solche Förderungspolitik dürfte die strukturelle Benachteiligung des ländlichen Raumes zementieren.
Desweiteren wird betont, dass Kulturförderung nicht als Existenzgrundlage sondern als “Sprungbrett” dienen müsse, um die wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erreichen und dass Kunst sich zunehmend auf die Finanzierung durch private Spenden stützen solle. Hier zeigt sich ein zentrales Element welches FPÖ und AfD verbindet, nämlich der Glaube an den Markt als Steuerungselement. Welche Auswirkungen der Markt auf das Niveau von Kultur hat, lässt sich seit Jahren an den Sendungen des privaten Fernsehens ablesen – heraus kommt eine weichgespülte und höchstens reaktionär-politische Mischung aus Shoppingsendungen, Sitcoms und Actionkrachern. Wer sich auf das absolute Wohlwollen des Publikums verlassen können muss, um die eigene Existenz zu sichern, kann es sich in unserer Gesellschaft nicht leisten, provokative und politische Ausdrucksformen zu wählen. Geht es nach der konservativen Regierung, brauchen sich Kunstschaffende allerdings auch kaum mehr Gedanken über die Auswahl ihrer Stücke zu machen: Unter dem Label der “Kulturnation Österreich” soll ein Kanon entworfen werden, der die heimatliche, um nicht zu sagen völkische, Kultur in den Mittelpunkt rückt.

Der Blick nach Österreich zeigt, wir haben hierzulande viel zu verlieren. Kaum auszudenken, wie Theater, die sich gegen Rassismus und Nationalismus einsetzen, unter einer AfD-geführten Regierung wegkommen würden – statt “Tschick”, einer Geschichte eines integrationsunwilligen autoklauenden Russlanddeutschen, müsste sich das Publikum wohl nicht nur im Dresdner Staatsschauspiel mit Deutscherem Zufrieden geben. Die Bilder geifernder Demonstrat_innen vor den drei Bussen auf dem Neumarkt blieben uns allerdings erspart, denn statt kontroverser Denkmäler würde diese Regierung wohl eher einige weitere Lutherdenkmäler oder gar eine Germania in Dresden errichten lassen, um an unsere vermeintlichen völkischen Wurzeln zu erinnern.
Das Beispiel Oberösterreich zeigt, dass ein Abducken kultureller Einrichtungen unter dem Vorwand, dass man ja keine Politik sondern Kunst mache, nicht vor der politischen Entwicklung schützt. Stattdessen sollten wir Kultur- und Kunstschaffenden uns vergegenwärtigen, was wir an der aktuellen Situation schätzen, aber auch was uns derzeit fehlt – für uns vom AZ Conni stellt sich bspw. schon heute das Unterworfensein unter den kapitalistischen Markt als Hemmnis der freien Entfaltung dar.

In diesem Sinne denken wir: Kunst und Kultur können und dürfen nicht unpolitisch sein! Dort, wo wir der Dystopie einer identitären Kunst Raum geben, die einen vorgeschriebenen Kanon wieder käut, kann Kultur nur verlieren! Eine an den Interessen des kapitalistischen Marktes orientierte Kulturpolitik müssen wir zurückweisen!

Für eine Kunst, die keine Sicherheiten schafft, sondern uns anregt, uns und unsere Umgebung zu hinterfragen!

(1) Einen guten Überblick und Einstieg bietet der Wikipediaartikel „Rassismus ohne Rassen“: https://de.wikipedia.org/wiki/Rassismus_ohne_Rassen
(2) https://www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2017/09/2017-06-01_AfD-Bundestagswahlprogramm_Onlinefassung.pdf
(3) http://www.weiterdenken.de/sites/default/files/uploads/2017/02/manuela_luck_kulturpolitik_afd.pdf
(4) https://diesenreiter.at/von-giesskannen-und-leuchttuermen

www.azconni.de
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